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Deutschlands Entscheidungswahl

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Hier die deutsche Ausgabe des Europe Express Wochenend-Newsletters. Eine englischsprachige Version finden Sie hier.

Willkommen zurück — welcome back!

Drei Trends, die für die Deutschen Anlass zur Sorge geben, bilden den Hintergrund der Bundestagswahlen am Sonntag: ein unsicheres, teils bedrohliches internationales Umfeld; eine angespannte und gespaltene innenpolitische Lage; sowie eine Wirtschaft, die – obwohl in vielen Bereichen stark – in einer Flaute festzustecken scheint.

Unabhängig davon, welche Parteien die nächste Regierung bilden – mein Eindruck ist, dass Friedrich Merz’ Christdemokraten in einer Koalition entweder mit einer der beiden Parteien oder auch gemeinsam mit Olaf Scholz’ SPD und den Grünen regieren werden – werden die anstehenden Aufgaben gewaltig sein. Bei Rückfragen erreichen Sie mich unter tony.barber@ft.com.

Die Rückkehr der Geschichte

Diese Woche fand ich mich in Gedanken an das Deutschland wieder, das ich zur Zeit des Mauerfalls, der Wiedervereinigung und in den letzten Jahren der Macht Helmut Kohls kannte, des verstorbenen CDU-Politikers, der von 1982 bis 1998 das Kanzleramt innehatte.

Im August 1990 hielt Kohl eine Rede im Bundestag, um die anstehende Vereinigung von West- und Ostdeutschland zu feiern, die zwei Monate später stattfand. Heute liest sich diese Rede besonders eindringlich.

In seiner Ansprache zollte Kohl „unseren amerikanischen Freunden“ besonderen Dank, die während des Kalten Krieges die Sicherheit der Bundesrepublik gewährleisteten und später den Weg zur Wiedervereinigung ebneten. Ebenso dankte er dem sowjetischen Führer Michail Gorbatschow, ohne dessen reformorientierte Politik die dramatischen Veränderungen von 1989–1990 in Deutschland und in Mittel- sowie Osteuropa sicher nicht möglich gewesen wären.

Bundeskanzler Helmut Kohl wird 1990 bei einer Kundgebung von Tausenden Ostdeutschen bejubelt © AFP/Getty Images

Später, in den 1990er Jahren, betonte Kohl oft, dass Deutschland zum ersten Mal seit seiner Gründung als einheitlicher Nationalstaat 1871 „nur von Freunden und Partnern umgeben” sei.

Amerikanische Verachtung

Deutschlands europäische Nachbarn sind nach wie vor Freunde und Partner, auch wenn die politischen Entwicklungen in Frankreich, Österreich und Teilen Mitteleuropas in Berlin Besorgnis auslösen. Weitaus beunruhigender jedoch ist die feindselige Haltung Russlands unter Wladimir Putin und vor allem der USA unter der Trump-Administration.

US-Vizepräsident JD Vance, Elon Musk und weitere Trump Nahestehende in Washington begegnen Deutschland mit offener Verachtung. Sie unterstützen die Alternative für Deutschland (AfD), jene rechtsextreme Partei, die gegen die in Westdeutschland nach 1945 mit unverzichtbarer US-Unterstützung errichtete liberale Demokratie wettert.

Am Dienstag bemerkte der ehemalige italienische Premier Enrico Letta:

„Von all den negativen Dingen, die von Trump, Musk und Vance ausgehen, war Musks Unterstützung für die AfD das Schlimmste”

Die Normalisierung der AfD

Den aktuellen Meinungsumfragen zufolge scheinen die Sympathien der Trump-Administration für die AfD und ihre Geringschätzung gegenüber den moderaten Parteien kaum Wirkung zu zeigen.

Die Umfragen sehen weiterhin die CDU mit einem erheblichen Vorsprung bei etwa 30 Prozent der Stimmen und die AfD auf Platz Zwei, wobei diese kaum über die 20-Prozent-Marke hinauskommt.

Allerdings wäre dies das bisher beste Ergebnis der AfD bei einer Bundestagswahl. Zudem sticht die Partei in der deutschen Wahllandschaft durch ihre Stärke in den fünf ostdeutschen Bundesländern hervor, wie die nachfolgende YouGov-Karte zeigt:

Im Vergleich zu den Bundestagswahlen von 2017 und 2021 ist ein bemerkenswertes Merkmal der aktuellen Wahlkampagne die Art und Weise, wie die AfD und ihre Kanzlerkandidatin Alice Weidel – hier im FT Porträt – anscheinend zu einem normalen Bestandteil des politischen Spektrums wurden.

In einer am vergangenen Sonntag ausgestrahlten Debatte kritisierten Merz, Scholz und der Grünen-Kandidat Robert Habeck Weidel scharf. Sie stellten sie wegen der pro-russischen Tendenzen ihrer Partei und deren Extremismus zur Rede (ein deutsches Gericht hatte im vergangenen Jahr bestätigt, dass die Inlandsnachrichtendienste dazu berechtigt sind, die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall einzustufen).

Von links nach rechts: SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz, Grünen-Kandidat Robert Habeck, CDU-Chef Friedrich Merz und Alice Weidel von der AfD © POOL/AFP via Getty Images

Weidel schnitt in diesen Auseinandersetzungen nicht gut ab – doch wird das am Sonntag eine Rolle spielen? Marina Kormbaki, die für das Nachrichtenmagazin “Der Spiegel” schreibt, fasste einen wichtigen Aspekt der Debatte zusammen:

„Aber allein der Umstand, dass sich Weidel zur besten Sendezeit mit den aussichtsreichsten Anwärtern auf die Kanzlerschaft zeigt, mit ihnen diskutiert und am Ende alle einander die Hände schütteln, vermittelt den Eindruck, die AfD gehöre dazu und sei eine Partei wie andere auch.“

Ein zersplittertes Parteienbild

Das Wachstum der AfD muss im Kontext gesehen werden. Es ist Teil eines umfassenderen Bildes einer zunehmend fragmentierten Parteienlandschaft in Deutschland.

Im Jahr 2021 erreichte die CDU mit 24,1 Prozent der Stimmen den niedrigsten Wert seit der Gründung der Bundesrepublik 1949. Dieses Mal scheint es die SPD – aktuell bei etwa 16 Prozent in den Umfragen – zu sein, die ihrem bisher schlechtesten Wahlergebnis entgegen geht. Jahrzehntelang dominierten diese beiden Parteien und die liberale FDP die politische Landschaft, was selbst nach dem Einzug der Grünen in den 1980er Jahren zu einem außerordentlich stabilen System führte.

Erst seit der Wiedervereinigung hat sich das Bild grundlegend verändert.

Zuerst trat die radikale Linke, dann die AfD auf den Plan. Zuletzt tauchte im vergangenen Jahr das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) auf, das linke wirtschaftspolitische Ideen mit einem rechtsgerichteten Fokus auf nationale Identität und Kultur sowie der Ablehnung von Zuwanderung kombiniert. Letzteres wurde nach drei von Migranten verübten Gewalttaten in Deutschland zu einem bedeutenden Wahlkampfthema.

Demonstranten halten Plakate während eines Protests in Berlin gegen Rechtsextremismus  © REUTERS

Östliche Einflüsse

Die AfD, Die Linke und das BSW haben starke Wurzeln in den ostdeutschen Bundesländern. Dies ist ein Beleg dafür, wie auch nach 35 Jahren die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Wiedervereinigung weiterhin das Parteiensystem Deutschlands prägen (wie bereits im November in diesem Newsletter angedeutet).

Es ist ungewiss, ob alle sieben genannten Parteien die Fünf-Prozent-Hürde überwinden und in den Bundestag einziehen werden. Valentin Kreilinger vom Schwedischen Institut für Europäische Politik stellt fest:

„Die öffentliche Meinung ist volatil. Klar ist jedoch, dass es nach einem polarisierenden Wahlkampf eine schwierige Aufgabe sein wird, eine stabile Regierung in einem fragmentierten Parteiensystem zu bilden.“

Sollten alle sieben Parteien Sitze erringen, könnte die nächste Regierung vor der enormen Herausforderung stehen, vor allem eine wirtschaftliche Reform umzusetzen, die dringend erforderlich ist.

Es geht dabei um die Abschaffung der verfassungsrechtlich verankerten „Schuldenbremse“, die Experten wie Shahin Vallée als Priorität sehen, um die deutsche Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.

Auf dem Parkplatz

Bevor ich zur Schuldenbremse komme, einige Worte zur Gesamtlage der deutschen Wirtschaft.

In den letzten Jahren wurden scharfe Kommentare zur Tagesordnung. Andreas Rees, Chefvolkswirt der deutschen Niederlassung der UniCredit Bank, bemerkt:

„Die jüngste Flaute spiegelt sich exemplarisch in der Automobilindustrie wider, dem Aushängeschild Deutschlands. Getroffen von einem Mix aus technologischem Wandel, schwacher Nachfrage und starker Konkurrenz aus China, haben die deutschen Autohersteller den Spurwechsel von der Überholspur auf den Parkplatz vollzogen.“

Ähnlich argumentieren in einer Analyse für das Finnische Institut für Internationale Angelegenheiten Marco Siddi, Tuomas Iso-Markku, Manuel Müller und Niklas Helwig:

„Auf nationaler Ebene drücken zwei Jahrzehnte mangelnder Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, wie das Schienennetz und Bildungseinrichtungen, sowie geringe Fortschritte bei der Digitalisierung auf die derzeitige Lage des Landes. Eine eingeschränkte Innovationskraft und zu langsame Produktivitätszuwächse tragen ebenfalls mit dazu bei.“

Ein Schlagloch in Frankfurt. Die deutsche Infrastruktur hat sich nach Jahren geringer Investitionen verschlechtert © picture alliance/dpa

Dennoch besteht die Gefahr, das Bild zu düster zu zeichnen. In einem ausführlichen Kommentar erklärt mein FT-Kollege Tej Parikh, dass, obwohl die Automobilindustrie und andere traditionelle Produktionszweige in Schwierigkeiten stecken, „die deutsche Industrie hervorragend aufgestellt ist, um Werte zu schaffen, da sie in zahlreichen Wachstumsbranchen äußerst wettbewerbsfähig ist.“

Reform der Schuldenbremse

Dennoch muss die Schuldenbremse abgeschafft werden. Verankert in der Verfassungs seit 2009, begrenzt sie das strukturelle Defizit der Bundesregierung in normalen Zeiten auf 0,35 Prozent des BIP.

Das ist der Grund, weshalb Timo Wollmershäuser vom Münchner Ifo Institut feststellt, dass: „Deutschland die längste Stagnation seiner Nachkriegsgeschichte erlebt.”

Das Problem wird bei der Politik liegen – insbesondere in der Zusammensetzung des nächsten Bundestags. Um die Schuldenbremse zu revidieren oder abzuschaffen, ist eine Zweidrittelmehrheit im Parlament erforderlich.

Andrzej Szczepaniak und seine Kollegen bei der Nomura Bank erläutern:

„Die Fähigkeit, eine Reform durchzusetzen, wird weitgehend davon abhängen, inwieweit kleinere Parteien sich qualifizieren und in den Bundestag einziehen und in welchem Maße wir CDU/CSU-Abweichler sehen werden.“

In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass Merz – im Gegensatz zu SPD und Grünen – bislang davon Abstand genommen hat, sich ausdrücklich zur Abschaffung der Schuldenbremse zu bekennen.

Ich bin nicht der Einzige, der befürchtet, dass die Aufgabe, die Ausgaben für Verteidigung, Infrastruktur und andere Wirtschaftsbereiche zu erhöhen, aufgrund des Wahlausgangs am Sonntag ins Stocken geraten könnte.

Mehr zu diesem Thema

Die AfD hat zwar starke Wurzeln in den ostdeutschen Bundesländern, gewinnt aber auch im Westen angesichts einer von starker politischer und wirtschaftlicher Polarisierung geprägten nationalen Lage zunehmend an Zuspruch, schreibt Valérie Dubslaff für das Französische Institut für Internationale Beziehungen.

Tonys Auslese der Woche

Jüngste gerichtliche Entscheidungen in den USA senden ein Signal, dass die größte Prüfung für Präsident Donald Trump und seine Exekutivgewalt nicht der Kongress oder die oppositionellen Demokaten sind, sondern die amerikanischen Gerichte, berichtet Stefania Palma im FT.

Präsident Kassym-Jomart Tokayevs Vision für die Zukunft Kasachstans betont eine ausgewogene Zusammenarbeit mit den USA, der EU, Russland und China – wenngleich er zu Hause komplexe politische Machtverhältnisse navigieren muss, schreibt Anna Harvey für das Central Asia-Caucasus Institute.

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